christus mystagogus
„Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6) – Dies Wort kann als die Grundformel christlicher Mystagogie gelten. Jede spirituelle Erneuerung erwächst aus einem Kontakt mit unseren geistlichen Quellen, besonders aus der Betrachtung des Evangeliums. Mit einem Gespür für die „Zeichen der Zeit“ (Mt 16,3), dem Bewusstsein für die moderne Kultur, ihre Werte, Aufgaben. Christus Jesus ist in seiner Person der gottmenschliche Zugang, spirituelle Weg zum Geheimnis Gottes.
Christus ist der »Mystagoge«, welcher uns durch seine Gotteserfahrung, Weisheit und Tugend in die – dem weltlich gesinnten, äußeren Menschen verschlossene –, mystische, innere Dimension des Glaubens einführt.
Paulus sagt: „Wir reden von der Weisheit Gottes, die im Geheimnis verborgen ist“ (1 Kor 2,4). Diese »Weisheit« ist Jesus Christus leibhaftig in Person. In ihm ist für alle, welche an ihn glauben, das »ewige Leben« einbeschlossen (Joh 11,25). Alle, die ihren Lebensweg als geistlichen Reifungsprozess im Glauben, mystische Hineinbildung in Christus begreifen, sind der Rolle eines »Mysten«, meint spirituellen Schülers.
Durch Glaube und Taufe ist seine geistliche Existenzweise den äußeren Augen der Sinnenwelt entzogen. Paulus spricht von »vita abscondita«. Wir sind im Glaubensgeist virtuell in das Geheimnis Gottes eingeborgen: „Ihr seid gestorben und euer Leben ist mit Christus verborgen in Gott.“ (Kol 3,3). In Christus sind wir der Sündenmacht, dem Tod, der Existenzangst, Ichhaftigkeit gestorben, haben Anteil an seiner Auferstehung, dem »Neuen Sein« in Gott.
Diese Integration in Christus bedeutet ein Hineingenommensein in das Leben des göttlichen Geistes. Dem mystischen Innesein entspricht als »Geistliche Übung« ein kontemplatives, unablässiges Sich-Zurücknehmen aus weltlicher Zerstreuung, dem sinnlosen Vielerlei. Sammlung des Geistes. Solch ein Einfachwerden gehört zu den Grundlagen spiritueller, christlicher Persönlichkeitsbildung: „in Einfalt des Herzens suchet ihn“ (Weish 1,1). Vornehmlich wird dies in Gelassenheit, Schriftstudium, Gebet, Tugendübung, Kontemplation verwirklicht.
Das Wort »Mystagogie« bedeutet „Einführung in die Geheimnisse“ durch erfahrene Begleitung. Dazu gehörte in der antiken Religion eine »Arkandisziplin«, die formelle Verpflichtung des Mysten, Lehrweisheit, Satzungen und Riten gegenüber Fremden, Außenstehenden absolut geheim zu halten. Das Christentum kennt keine solche elitäre Schweigeverpflichtung.
Das Evangelium ist freimütig allen Menschen zu verkünden (Mt 28,19). Christsein ist keine esoterische Geheimwissenschaft. Dennoch gilt es gerade in der Socialmediawelt, den Geheimnischarakter von Glaubensinhalten, Sakramenten, spirituellen Handlungen eindeutig zu bewahren.
Die Schweigegebote Jesu in den Evangelien bezeugen, dass ein tieferes Verstehen Christi einer persönlichen Bekehrung, Erleuchtung des Geistes bedarf (Mk 4,34; 9,9). Nicht selten verletzten mediale Übertragungen von Gottesdiensten, insbesondere der Eucharistiefeier, die spirituelle Diskretion. Seelsorgeklamauk in Medien signalisiert Mangel an theologischer Bildung, Ausfall geistlicher Innovation, kirchlicher Erneuerung, Traditionsverlust. Nicht Weniges in Kirche gleitet ab in eine „metaphysische Schamlosigkeit“ (K. Rahner).
Begegnung mit Gott ist ein personales, mystisches Geschehen, eine existentielle, geistliche Intimität, welche vor fremden Augen, Zuschauern, Webcams geschützt werden muss. Glaubensgemeinschaft, Gottesbeziehung, Glaubensbewusstsein wächst vornehmlich im Abgeschiedenen, Vertrauten, Zweckfreien, Einfachen, besonders im lauteren Schweigen, dem kontemplativen Fluidum. Es setzt eine bewusste, innere Vorbereitung voraus. Dazu gehört auch Medienaskese.
Glaubensinhalte, spirituelle Übungen, Liturgie, Begegnung sind mehr denn je vor kirchlicher Selbstsäkularisierung, psychospiritueller Ausbeutung, weltlich-religiösen Interessen zu schützen. Dietrich Bonhoeffer schrieb 1944: „Es gibt Stufen der Erkenntnis und Stufen der Bedeutsamkeit. Das heißt, es muß eine Arkandisziplin wiederhergestellt werden, durch die die Geheimnisse des christlichen Glaubens vor Profanisierung geschützt werden.“